Vier Bausteine der ACHTSAMKEIT

Zusammenfassung eines Teachings von Thay

Vorspann:

Achtsamkeit ist ein großes und wichtiges Thema im Buddhismus, ja generell für alle Menschen, die sich spirituell weiterentwickeln wollen. Buddha hat sich in vielen seiner Lehrreden dazu geäußert und immer wieder auf die Bedeutung hingewiesen, und alle seiner Schüler bis in die Gegenwart hinein tun dies gleichermaßen - beispielsweise der großartige buddhistische Lehrer Thich Nhat Hanh.

Auch andere spirituelle Lehrer beziehen sich mit Nachdruck darauf, z.B. Eckhart Tolle. Achtsamkeit als Thema ist in der heutigen Gesellschaft angekommen, es gibt unendlich viele Bücher, Vorträge, Kurse. Und dennoch fällt es uns oft so schwer, achtsam und präsent zu sein.

Thay erläuterte, wie Achtsamkeit uns die Möglichkeit gibt, „im Hier und Jetzt“ anzuschauen, wer und wie wir sind, und welche Aspekte wichtig für uns sind für größere Bewusstheit und Weiterentwicklung.

 

Aktives Erarbeiten

Wenn du herauskriegen willst, was die folgenden vier Bausteine der Achtsamkeit für DICH bedeuten, wo du in deiner spirituellen Entwicklung stehst und wo du vielleicht verstärkt  dein Augenmerk drauf richten solltest, dann achte beim Lesen des Textes auf die Beschreibung der jeweiligen Schlüsselwörter. Wenn dir bei einem der Begriffe auffällt, dass  du da vielleicht einen Handlungsbedarf hast, dann richte in nächster Zeit deine Achtsamkeit darauf.

Zum Beispiel "Macht" - vielleicht fällt dir auf, dass du zu oft die Macht an Andere abgibst. Dann achte in nächster Zeit darauf, dass DU dir die Macht gibst. Ein anderes Beispiel: "Risiko" - vielleicht merkst du, dass du oft aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus in deiner alten Gewohnheit und Trägheit fest steckst. Dann probier doch mal aus, mehr Risiko in dein Leben zu bringen.

Schau einfach mal, was passiert!

 

 Der erste Baustein der Achtsamkeit

*** Einfluss / Macht und der „Fluss des Verstehens“ ***

Dieser Aspekt befasst sich mit dem Einfluss von außen, dem wir tagtäglich ausgesetzt sind bzw dem wir uns aussetzen - was auch immer wir tun und lassen. Wir nehmen die Einflüsse auf, bewusst oder unbewusst. Aber wir haben es in der Hand und können entscheiden, ob wir sie aktiv oder passiv unser Leben beeinflussen lassen!

Sind wir selbst aktiv, dann entscheiden wir uns dadurch für einen aktiven Einfluss auf unsere Umgebung, unsere Familie und die Gesellschaft. Was für einen Einfluss möchtest du in deine Umgebung, Familie, die Gesellschaft bringen? Deine Ängste? Deine Kritik? Oder möchtest du Liebende Güte, Mitgefühl und das, was dir wichtig in deinem Herzen ist, aktiv leben und so zu einem Einfluss werden lassen?

 Wenn du aktiv Einfluss nimmst, dann bist du „der Macher“. Wie benutzt du deine Macht? Bist du ein Macher, musst du damit rechnen, dass irgendjemand enttäuscht oder unzufrieden ist. Auch wenn du einen positiven Einfluss in diese Gesellschaft bringst, rechne damit, dass man dich kritisiert.

Wenn du diese Kritik dann aufnimmst, aber dich nicht davon beeinflussen lässt und bei dir bleibst - dann bist du in der Achtsamkeit angekommen. Sobald eine Kritik oder ein Widerstand kommt, sollten wir nach innen schauen: Was bewirkt das in mir? Und genau DAS müssen wir immer wieder anschauen. Wenn ich verletzt werde – bin ich dann in der Lage zu reflektieren: wie weit öffne ich mich? Lasse ich mich verletzen? Oder kann ich entscheiden, zu sagen: „Egal, was bei mir ankommt, ICH möchte die Entscheidung treffen, was das in mir bewirkt?“ Wie weit gehst du liebevoll mit dir um? Wie weit bist du mit dir verbunden? Wie weit bist du überhaupt mit dir in Einklang?

Willst du selber die Macht besitzen und dich selbst beeinflussen? Oder gibst du in deinem Alltag die Macht ab? An deine Freundin, den Nachbarn, den Vorgesetzten? Re-agierst du statt zu agieren, wirst du orientierungslos, bleibst in der Warteschleife stecken, triffst keine Entscheidungen, stehst nicht für dich ein?

Nur, wenn du wirklich mit dir verbunden bist, immer wieder Kontakt mit dir aufnimmst, kannst du der Wirkung, die von außen kommt, standhalten, denn dann bist du derjenige, der entscheidet, welche Wirkung du dir geben und welchen Einfluss du nehmen möchtest .

 *** Wenn wir liebevoll und aufmerksam uns und diese Zusammenhänge betrachten, wenn wir offen bleiben, nicht beurteilen, nicht bewerten, sind wir im „Fluss des Verstehens“, und der Achtsamkeit ein großes Stück näher gekommen. ***

 

 

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Der zweite Baustein der Achtsamkeit

*** Risiko / Gehorsamkeit und die „Reinheit des Geistes“ ***

Wenn du den Weg der Achtsamkeit gehen möchtest, wirst du mit einem Risiko konfrontiert. Du weißt nicht, wie deine Familie darauf reagiert, wenn du achtsam bist. Du weißt nicht, wie deine Freunde dich dann sehen. Vorher hast du nach Lust und Laune (re)agiert, gingst mit zu allen Partys, hast allen Unsinn ohne Nachzudenken mitgemacht.

Jetzt sitzt du da – du atmest ein – du atmest aus – du hörst in dich hinein - und dann lächelst du. Einige Leute finden das komisch. Andere werden dich vielleicht verlassen, oder Abstand halten, weil sie nicht wissen, was du da machst. Wir müssen uns, wenn wir unseren eigenen Weg gehen, auf dieses Risiko einlassen.

 

Denn wenn wir in unserem Leben kein Risiko eingehen, kann es passieren, dass wir in unserer Passivität irgend jemandem oder irgend etwas gegenüber in die Gehorsamkeit rutschen: Gehorsamkeit den Eltern, der Gesellschaft oder dem Trend gegenüber, der gerade aktuell ist, oder irgend jemandem, der dich definieren oder in Form bringen will. Wenn du den Weg, den du gehen willst, mit Entschlossenheit und mit Offenheit gehst, so gehört doch auch die Ungewissheit dazu, was auf dich wartet.

Leg die Gehorsamkeit ab und schau auf das Leben, was alles auf dich zukommt. Wenn du den Weg schon gehst, ist es bei allem, was dir begegnet, deine Entscheidung, entweder den Weg weiter zu gehen oder stehen zu bleiben oder umzukehren. Weder Gott, Buddha oder dein spiritueller Lehrer, noch irgendjemand anders, ist daran schuld, wenn auf diesem Weg etwas passiert. Du lernst, die Verantwortung für dich zu übernehmen.

 

Hier zeigt sich der buddhistische Aspekt: Die eigene Verantwortung liegt darin, dass du das, was du gesät hast, auch ernten wirst, du schaffst die Ursachen und dadurch ihre Wirkung, wir nennen das im Buddhismus Karma. Hier liegt der aktive Part für dich: jeder Schritt, den du machst, jede Entscheidung, die du triffst, kehrt letztendlich zu dir zurück, und DU kultivierst, DU öffnest dir DEINEN Weg.

Weder Gott oder Buddha oder deine Eltern oder irgend jemand ist für dich verantwortlich. Achtsamkeitsübung ist keine leichte Sache. Sich nicht beeinflussen zu lassen – sich nicht „bewirken“ zu lassen – sich auf Risiken einzulassen – die Verantwortung für sich zu übernehmen.

 

*** Wenn wir uns das Staunen eines kleine Kindes bewahren, wenn wir unser Herz wie ein Engel ohne Vorbehalte öffnen, alles annehmen, so wie es ist, – so erfahren wir Klarheit und gelangen in die Achtsamkeit des „reinen Geistes“. ***

 

 

 

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Der dritte Baustein der Achtsamkeit

*** Wirksamkeit, Kontrolle und die „Bedeutung der Hingabe“ ***

Es gibt einen Gegenpol zu Macht - das ist die Kontrolle.
In Asien ist es so, dass man dem Mann die Macht gibt, aber die Frau kontrolliert. Draußen darf der Mann alles machen – aber zuhause kontrolliert die Frau seine Geldbörse, sein Konto, das, was er nachhause bringt. Das ist ein Ausgleich, jeder ist mal an der Macht und mal in der Kontrolle.

Und wer kontrolliert dich? Oft genug NICHT du selbst... Deine Arbeitszeit wird z.B. von der Bank kontrolliert. Wenn du nicht genug arbeitest, kannst du deine Schulden nicht bezahlen und dein Konto nicht ausgleichen. Wer kontrolliert deine Gesundheit? Gibst du die Kontrolle an Ärzte oder Apparate ab? Vielleicht an ein digitales Messgerät, das dir sagen soll, ob du gesund bist, es kontrolliert deine Herztätigkeit, deinen Blutzucker, ob du eine Allergie hast…. Damit gibt man die Kontrolle ab. Man hört nicht auf sich selbst. Wobei Kontrolle nicht generell schlecht ist, wenn man z.B. als Diabetiker seine Zuckerwerte kontrolliert oder als Allergiker seine Nahrung. Bewusst ausgeübte Kontrolle kann zu Balance führen.

Aber wir sehen oft nicht die Wirksamkeit der äußeren und inneren Faktoren, die ständig auf uns prallen. Von was lasse ich mich manipulieren? Von Medien, von Trends, von bestimmten Dogmen und Glaubenssätzen…. Besonders ist dies in einer Beziehung der Fall. Entfaltest du Wirksamkeit in deiner Beziehung? Nimmst du Einfluss? Wenn du auf diese Fragen mit JA antworten kannst, dann arbeitest du aktiv an deiner Beziehung, zum Wohl für dein ICH. Diesen Prozess können wir auf alles andere übertragen.Beispielsweise gibt es in Taiwan eine große Organisation. Es begann mit einer kleinen Nonne, die eine Hochschwangere blutend aus dem Krankenhaus kommen sah. Diese Frau war abgewiesen worden, weil sie kein Geld für eine Behandlung hatte. Die Nonne aber nahm sie auf, weil sie das Gefühl hatte: „Ich will und ich kann für diese Frau etwas bewirken.“ Inzwischen hat diese Nonne eine der ganz großen NGOs aufgebaut, nicht nur in Taiwan, sondern in ganz Asien. Allein in Taiwan sind von den 25 Millionen Einwohnern 5 Millionen ihre Mitglieder. Die Organisation baut hauptsächlich Krankenhäuser, die das Prinzip haben: Jeder wird medizinisch gut versorgt, ob er Geld für eine Behandlung hat oder nicht. Diese Krankenhäuser sind die modernsten in Taiwan. Daran kann man sehen: WEIL du das Gefühl hast „ich kann hier etwas bewirken“, kommt die Hingabe, entwickelt sie sich von einer Idee zur Tat.
Ein weiteres Beispiel ist Greta Thunberg, das junge schwedische Mädchen, das durch sein Tun gegen die Klima-Katastrophe die inzwischen weltweite Bewegung „Fridays for future“ initiiert hat.
Aber auch im nahen Umfeld, z.B. mit Hingabe für deine Familie, kannst du viel bewirken.

*** Je mehr du siehst, was du bewirken kannst, wenn du etwas aus dem Herzen heraus machst, umso mehr erfährst du die „Bedeutung der Hingabe“ als einen weiteren fundamentalen Baustein der Achtsamkeit. ***

 

 

 

 

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Der vierte Baustein der Achtsamkeit

*** Verantwortung / Abhängigkeit und derWeg der Spiritualität“ ***

Manchmal glauben wir zu sehr einem Klischee, einem Label, einer Werbekampagne - nicht unseren eigenen Sinnen. Nehmen wir als Beispiel Bio-Produkte. Das Vertrauen in diese Produkte kann uns blind machen, wenn wir die Verantwortung abgeben. Ich muss aufpassen und nicht einem selbst auferlegten Gehorsam verfallen: „NUR DAS ist gut.“ Manchmal ist etwas anderes besser, gesünder, frischer – stammt vielleicht vom Erzeugermarkt und Bauern in der Nähe. Wir sollten genau hinschauen, damit wir nicht in blindem Vertrauen nach Produkten greifen, nur weil sie ein entsprechendes Label haben. Wir interessieren uns vielleicht nicht einmal dafür, ob einzelne Produkte unter fairen Arbeitsbedingungen erzeugt wurden, einen krassen Wasserverbrauch in der Erzeugung haben wie Avocados, um den halben Kontinent geflogen wurden… Dann gebe ich meine Verantwortung ab, setze meine Sinne nicht ein – „es schmeckt nicht unbedingt gut, aber es ist Bio.“ Auf diese Weise können wir in Abhängigkeit von Mode und mainstream und scheinbarer Logik geraten und verlassen uns nicht mehr auf unsere eigene Wahrnehmung und Intuition.

Wenn du eine Reise in ein fernes Land machst und du kannst dich auf das Unbekannte, Fremde, Neue einlassen ohne viel zu hinterfragen, zu vergleichen und zu bewerten, wirst du tiefe Erfahrungen mit diesem Land UND mit dir machen. Du übernimmst Verantwortung, ohne dich in Abhängigkeit zu begeben.

*** Wenn du dir erlaubst, außerhalb deines Verstandes und deiner Logik unmittelbare Erfahrungen zu machen, dich auf das einzulassen, was ist, dann öffnet sich dir eine neue Dimension und du erfährst eine Erweiterung deines Bewusstseins – du befindest dich auf dem „Weg der Spiritualität“.***

Du entscheidest, wie du mit deiner Achtsamkeit umgehen möchtest.

 

Dies Teachings von Thay wurde zusammengefasst von Marianne Kahm, danke an Ingmut Dossow für die Mitschrift.

 

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